Mutmaßungen stellt nun auch Hans Erich Nossack, 67, an -- über Nasemann.
Dieser Nasemann, soviel wird sicher, ist der verlorene Sohn einer
beizeiten nach Westen verzogenen Dresdner Strumpfindustriellen-Familie.
Unter dem Pseudonym d'Arthez, dem beziehungsvoll gewählten Namen einer
Neben- und Außenseiterfigur aus Balzacs »Verlorenen Illusionen«, wurde er,
was schon Bölls »Clown« Hans Schnier war: ein berühmter Pantomime.
d'Arthez war Antinazi und KZ-Häftling, ist geschieden, schlägt sein Erbe
aus, hat eine Tochter Edith und einen Freund Lambert, der mit einer
Schneiderpuppe in Frankfurt lebt.
Ein Zufall (Zufall?) konfrontiert ihn einem Bundessicherheitsdienst, der
ihn sogleich suspekt findet, denn d'Arthez hat das für Geheimdienstier
ungenießbare Air des »Exterritorialen. Einmal Outcast, ist er nie
zurückgekehrt, sondern weiter abgekommen in Zonen jenseits geltenden
Rechts und gängiger Moral. Behörden werden an ihm lächerlich.
Das merkt auch der geheimdienstliche »Berichterstatter«, dessen -- allzu
ressortblinder, allzu berufsbornierter -- Chef den Fall d'Arthez überhaupt
erst erfindet und dabei doch mit sicherem bundesdeutschen Empfinden die
Gefährlichkeit solcher unabhängigen Geister für den bürgerlichen Staat
erspürt. So Nossacks Ironie (und so seine zu hohe Meinung von der
Gefährlichkeit solcher Geister).
Dem »Berichterstatter« jedenfalls, diesem gutartigen jungen Mann,
verleidet der Fall d'Arthez den Sicherheitsdienst -- er verdingt sich, auf
dem Wege zu seinem »Ich«, als Entwicklungshelfer.
Den Schauplatz der tiefernsten Story hat zumeist des Autors Wohnort
Frankfurt gestellt. Hier, merkt man, hat, wie der spröde, hintersinnige
Lambert, auch Nossack manche Nacht am Fenster gestanden und seinen
Gestalten die Seelenachse ins Symbolische gerichtet.
Doch viele Ansätze zu Deutungen bleiben Andeutungen, die trockenkühle
Diktion verbirgt nicht die Anstrengung des Sprechens, und werden auch
d'Arthez' Pantomimen eingehend beschrieben, sie bezeugen nur den Zweifel
an der Mitteilbarkeit von Wichtigem durchs Wort.
Quelle: DER SPIEGEL 45/1968